1000 Stürme

„Selbst wenn du mich in zwei Teile zerschneidest, werde ich nicht weinen.“ Dieser Satz entstammt keinem Poesiealbum, sondern steht im neuesten Comic von Tony Sandoval. Dazu sehen wir ein Mädchen, dessen Gesichtszüge etwas tierhaftes haben. Dass sich Sandovals Sprache und Zeichenstil von der Masse abheben, wissen alle, die ein Sandoval-Werk gelesen haben. Auch in „1000 Stürme“ vermischen sich Realität und Phantasie. Wie magisch wird es diesmal?

von Daniel Pabst

Der Comic „1000 Stürme“ ist bei Cross Cult im Jahre 2022 erschienen und umfasst 144 Seiten, von denen die letzten 8 Seiten zusätzliche Skizzen und Illustrationen bieten. Der Künstler Tony Sandoval hat die Geschichte geschrieben und auch gezeichnet. Bereits das Titelbild deutet sein „Markenzeichen“ an: kindliche Charaktere mit dürren Armen und Beinen, dazu ein voluminöser Kopf und jede Menge (traumhafter) Phantasiewesen. Die Originalausgabe von „1000 Stürme“ erschien bereits 2014 unter dem Namen „Mille Tempêtes“.

Durch die großen Illustrationen, welche teilweise eine ganze DIN-A4-Seite in Anspruch nehmen, werden wir – wie schon in Sandovals Werk mit dem Titel: „Wasserschlangen“ (ebenfalls bei Cross Cult erschienen) – mit der jungen Lisa in das Reich der Phantasie hineingezogen, wo diesmal Unwetter toben.

Sandoval versetzt uns Leserinnen und Leser durch seinen Zeichenstil in die Lage, vieles zu interpretieren, und gleichzeitig spricht er mit seinen Zeichnungen die eigene Gefühlswelt an. Lisa hat früh lernen müssen, dass das Leben nicht allzeit rosig sein wird. Ihre Mutter ist verstorben, ihr Vater hat sie kurz darauf verlassen und sie lebt seitdem bei ihrer Patentante, die sie missmutig neben ihren eigenen Kindern erzieht. Ihre Freude und Freunde findet Lisa allein in der Natur: eine Welt frei von Menschen.

Eines Tages dann ändert sich Lisas Leben schlagartig. Das fängt dabei an, dass ihre Brust wächst. Dann nimmt sie einen Ferienjob als Kellnerin an. Dabei trifft sie Juan, der ihre Gefühle durcheinanderwirbelt. Diese Veränderungen aber sind nichts, gemessen an dem, was folgt. Die Kinder im Küstendorf halten Lisa für eine Hexe! Von da an muss sich Lisa nicht nur den Problemen des Alltags stellen, sondern kämpft ums Überleben.

Bildgewaltig skizziert Sandoval in „1000 Stürme“ die Erlebnisse der Pubertät und des damit verbundenen Findens seines Platzes in der Gesellschaft. Auch wenn seine Charaktere deutlich jünger sind als die Leserschaft, so handelt es sich nicht um einen Kindercomic. Die Metapher der „Stürme“ betrifft nicht nur die Welt der Jugend. Die Stürme des Lebens toben für alle. So begleiten uns zum Beispiel immer wieder zwei ältere Bewohner des Küstendorfs, die Schach spielen, über die Jugend reden oder durch die Gegend fahren. Auch die Naturzeichnungen, die ohne Sprechblasen auskommen, tragen zur (melancholischen) Stimmung bei.

Was „1000 Stürme“ ausmacht, ist, dass man nie weiß, was passieren wird. Warum trägt Lisa diesen Helm? Welche Wesen begleiten sie auf dem Cover? Und was für ein dämonisches Tier lauert da hinter Lisa im Spiegelbild? Die vielen Andeutungen und der schnelle Wechsel zwischen Realität und (Lisas) Phantasiewelt ist fordernd. Hinzu treten Seiten, auf denen literweise Blut spritzt oder weit aufgerissene Münder und Kulleraugen zu sehen sind. Ob einem dieser Mix zusagt, wird nach einem ersten Blick durch die Leseprobe deutlich werden.

Leseprobe

Fazit: „1000 Stürme“ ist ein „typischer“ Sandoval. Manchmal scheint das Gezeichnete einem aus der Seele zu sprechen und dann wiederum wirkt das Gezeichnete einfach nur abstoßend. Erneut liegt hier ein Sommer-Abenteuer vor, das durch seine Sonderbarkeit gefallen kann. Wer Lust hat, etwas „anderes“ zu lesen, mag sich mit „1000 Stürme“ auf den Weg begeben – ohne befürchten zu müssen, am Ende hinweggeweht zu werden.

1000 Stürme
Comic
Tony Sandoval
Cross Cult 2022
ISBN: 978-3-96658-885-0
144 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 25,00

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