Gyo – Der Tod aus dem Meer

Urlaub. Zeit spielt keine Rolle mehr. Endlich die Beine ausstrecken und die Füße im kühlen Nass baumeln lassen, bevor man die vollkommene Erfrischung im Wellenbad findet und einfach seelenruhig dahingleitet. „Gyo – Der Tod aus dem Meer“ bietet von alldem das genaue Gegenteil. Junji Ito – der japanische Meister des Horrors – zeigt einmal mehr, dass unter der Spitze des Eisbergs ein unstillbares Meer voller Monster lauert …

von Daniel Pabst

„Gyo – Der Tod aus dem Meer“ ist bei Carlsen Manga erschienen und erzählt eine Horror-Geschichte des Mangakas Junji Ito. Mit 407 Seiten reiht sich der im Jahre 2020 erschienene Band in die großangelegte deutsche Übersetzungsreihe von Junji Ito ein. Als Empfehlung finden wir den Aufdruck: ab 16 Jahren. Die Geschichte „Gyo“ wird auf 360 Seiten erzählt. Des Weiteren sind zwei Extra-Geschichten abgedruckt („Der Stützpfeiler“ und „Der Spuk in der Amigara-Spalte“). Packen wir die Badehose ein, um uns ins Abenteuer zu stürzen. Ach ja, bevor es losgeht: Gute Nerven wären wünschenswert, da Junji Ito als Garant für guten Horror bezeichnet wird.   

Die Fangnetzte werden eingeholt – so wie jeden ganz gewöhnlichen Tag auch. Doch in „Gyo“ ist diesmal kein gewöhnlicher Tag. Statt der zappelnden Fische, krabbeln die Meerestiere auf Heuschreckenbeinen übers Deck. Und sie beißen und stechen die Fischer der beschaulichen japanischen Hafenstadt. Zum Schrecken kommt dazu, dass diese Fische merkwürdig ausgestorben aussehen und einen bestialischen Gestank verströmen. Herzlich willkommen in der Welt des Mangakas Junji Ito (bekannt für Mangas, wie „Tomie“, „Shiver“ und „Uzumaki“)!

Japan, das Land, aus dem Junji Ito stammt, galt einst als die Nation mit den weltweit höchsten Fangmengen an Fischen und Meeresfrüchten. Auch heute noch spielt dessen Fischerei eine bedeutende Rolle – worüber sich nicht nur der Tourismus anhand der angebotenen Gerichte erfreut. So wird die künstlerische Verwandlung in „Gyo“ aus beeindruckenden Lebewesen und köstlichen Speisen hin zu Monstern umso schockierender und lässt einen ordentlich schaudern. Zumal die Faszination des Meeres für uns Zweibeiner nicht von ungefähr kommt – ist die Erde doch knapp zu 70 Prozent mit Wasser bedeckt!

Dass es diese Fischmonster aufs Festland treibt, musste zuvor bereits ein junges Pärchen erfahren. Ihre lang herbeigesehnte Tauchtour auf einer Insel endete schnell, da ein sonderbarer Fisch den Taucher gejagt hatte. In der Ferienwohnung angekommen, um die Zweisamkeit zu genießen, riecht es dann stark nach verdorbenem Fisch. Selbst eine kalte Dusche schafft keine Abhilfe. So entwickelt sich der Sommerurlaub in einen Albtraum, in dem aus einer Wahnvorstellung eine schaurige Realität aus krabbelnden und fliegenden Fischen wird.

Die Schockmomente überschlagen sich. Die titelergänzende Überschrift des Mangas, „Der Tod aus dem Meer“, gibt das gut wieder. Dass ein Hai-Alarm ausgerufen wird und sich die Schwimmerinnen gerade noch rechtzeitig ans Land retten können, ist dabei nur ein Vorbote weiterer monströser Angriffe. Wer weiß schon, ob der Hai im Meer bleiben wird? Waren da nicht zuvor sonderbar verwandelte Fische mit Heuschreckenbeinen? Wenn Japan den Walfang betreibt, muss es im Meer neben Haien auch Wale geben, oder? Was veranlasst die Meerestiere, ihr Habitat zu verlassen? Ist das eine der biblischen Plagen? Oder lag der Ursprung gar in menschlichen Händen?

Junji Ito schafft es mit „Gyo“ mal wieder, die Nerven der Leserinnen und Leser zu strapazieren. Seine Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind grotesk und heftig. Besonders schockierend ist die Geschichte rund ums Meer dadurch, dass sie die Urlaubsstimmung und ihre Utopie eines Seelenfriedens außerhalb der gewohnten Umgebung in einen Horror umkippen lässt. Nicht immer – so scheint es – ist der gewünschte Ort an dem man sich aufhält, frei von unheilvollen Wendungen. Bei Junji Ito eignet sich das Meer und dessen unbekannte Tiefe hervorragend für Allegorien. Der Manga „Gyo“ ist auch deswegen einer der besten, den Junji Ito bislang geschaffen hat.

Leseprobe

Fazit: Das Meer und dessen Inseln dienten zu allen Zeiten als große Inspirationsquelle für Erzählungen und Gedichte. Die Ferne, das Abenteuer, die Tiefe, das ewige Auf und Ab der Wellen, das Meeresrauschen, der Meeresgeruch, der menschliche Drang, dem Unbekannten Herr zu werden, sowie der Aufbruch zu Neuem, bietet sehr viel davon, was Autoren und Autorinnen umtreibt. Der Manga von Junji Ito „Gyo – Der Tod aus dem Meer“ bearbeitet diese Stimmung ganz im Sinne einer erstklassigen Horrorgeschichte. Von daher ist „Gyo“ wärmstens zu empfehlen – auch wenn man danach anders auf den nächsten Strandurlaub oder heißen Sommertag blickt.  

Gyo – Der Tod aus dem Meer
Manga
Junji Ito
Carlsen Manga 2020
ISBN: 978-3-551-79361-4
408 S., Hardcover, deutsch
Preis: EUR 24,00

bei amazon.de bestellen